Der Messer-Punk

Der Messer-Punk

Roland Lannier macht Tafelmesser. Das Besondere: die Griffe sind aus Vinylplatten, Beton, Schottenröcken. Die Kunden: Sternerestaurants aus aller Welt.

Montagmorgen in der Messerschmiede von Roland Lannier. Licht strömt durch ein großes Fenster. Der Ort ist rau, aber heimelig. Im Kamin knistert ein Feuer. Die Metallsäge, an der sein einziger Mitarbeiter Guillaume steht, heult auf, Funken sprühen. Roland hockt vor der Schleifmaschine und zeigt seine Finger: Sie sind schwarz wie bei einem, dem die Polizei gerade die Fingerabdrücke genommen hat. „Hier ist alles Handarbeit, das ist der Beweis”, sagt der Franzose grinsend.

Roland ist einer der letzten traditionellen Messermacher in Thiers. In der Kleinstadt in der Auvergne werden seit dem Mittelalter Messer geschliffen, poliert und in alle Welt exportiert. Der Franzose führt dieses Handwerk nicht nur fort, er interpretiert es neu: Neben den extrem scharfen Klingen haben es vor allem die von ihm gefertigten Griffe in sich: Zwiebelschalen, Vinylplatten oder was seine Kunden – Kochstars und Restaurantchefs von New York bis Singapur – sonst noch wünschen oder wonach ihm selbst der Sinn steht.

Der letzte Schliff: Roland schärft die Klinge seiner Messer.
Der letzte Schliff: Roland schärft die Klinge seiner Messer.

Gerade schleift er ein Steakmesser aus der Kollektion „Tableware’s not dead“. Zunächst nimmt er einen Stahlrohling. An unterschiedlichen Schleifsteinen mit unterschiedlicher Stärke wetzt er die Klinge, von grob bis immer feiner, aus einem Stück schwedischen Sandvik-Stahls.

Rolands Maschinen und Werkzeuge sind eher Vintage als Hightech. Manche wirken wie Stücke aus dem Technikmuseum. „Zwei meiner Schleifmaschinen habe ich vom Schrottplatz. Ich konnte sie gerade noch vor der Metallentsorgung retten. Wenn alte Traditionsbetriebe dichtmachen, versuche ich an deren alte Maschinen ranzukommen. Oft funktionieren die einwandfrei. Man muss nur die Schleifbänder austauschen. Es ist schön, mit den Maschinen auch eine Tradition zu bewahren“, sagt er. Mitarbeiter Guillaume sitzt vor einer „Touret“ – der traditionellen Schleif- und Poliermaschine der französischen Messerschmiede. Auch das quasi antike Teil haben sie nach einer Werkstattauflösung vor dem Sperrmüll gerettet und wieder flottgemacht. Vier Stationen gibt es in der Werkstatt: die Schleifmaschine, die Poliermaschine, die Metallsäge. An der vierten bohren die beiden Schmiede Löcher in die Klingen und Griffe. Dort montieren sie auch beide Teile zusammen – mit Titanschrauben oder Pinnnadeln.

Werkstatt: Mitarbeiter Guillaume und Roland arbeiten in Thiers, Frankreich.
Werkstatt in der Altstadt: Roland und Guillaume arbeiten Seite an Seite.

„Das ist der Clou“, sagt Roland. Nachdem er die Klinge geschliffen hat, zeigt er auf eine Werkbank. Da liegt ein Block Micarta, ein robustes und leichtes Material, bei dem Baumwollstoff und Kunstharz verpresst werden. Das macht für Roland ein Zulieferer. Doch das Design ist, wie immer, Rolands Idee: In dem Material ist das rot-schwarze Tartanmuster eines Schottenrocks verarbeitet – eine Hommage an die Sex Pistols und die britische Punk-Szene. Daraus wird der nächste Griff gefertigt.

Roland sägt aus dem Micarta ein kleineres Stück. Dann hält er es an den Bandschleifer und schleift die Griffschale. Nach wenigen Momenten ist er fertig. Nun beginnt das Polieren und Veredeln. 40 Arbeitsschritte sind für ein Messer nötig. Das dauert Stunden. Roland und sein Mitarbeiter Guillaume können maximal fünf Messer pro Tag herstellen.

Mich inspirieren Popkultur, Filme, Comics und Street-Art – also alles, was mich als Mensch formt.“

Roland Lannier

Tartan: Roland an der französischen Schleifmaschine Touret, ein Tafelmesser mit klassischem Schottenmuster.
Tartan: Roland schleift an der Touret ein Tafelmesser mit Schottenrock-Griff.

Nun zeigt Roland auf eine Holzkiste. Darin sind Klappmesser mit Slipjoint-Mechanismus (wie bei einem Schweizer Taschenmesser) aufgereiht. Diese Modelle brauchen besonders viel Zeit, wegen ihrer Mechanik.“ Sie sind seine Bestseller. Viele Restaurantchefs lieben das: Ein Messer zum Steak reichen, das erst noch aus seinem Griff gezogen wird. Auch Roland nutzt sie: „Ich habe immer ein eigenes Klappmesser dabei – genau dafür habe ich sie ja entworfen.“

Messersammlung: Tablett mit verschiedenen Messermodellen.
Kleine Auswahl aus Rolands Messerangebot.

Rolands Klingen sind scharf wie ein Skalpell. Sie schneiden durch Fleisch wie durch ein Stück Butter. „Nur mit gutem Besteck macht Essen Spaß“, sagt er. „Ich mache Werkzeuge für Genießer. Meine Messer sind fürs Kochen und Essen da – die schönen Dinge im Leben.“ Jagdmesser, Ramboklingen, überhaupt der maskuline Messerkult? „Das interessiert mich null!“

Roland arbeitet wie ein Schmied vor Hunderten Jahren. Nur dass die Energie heute aus der Steckdose kommt. Nicht mehr vom Fluss Durolle. Dessen Strömung trieb früher die Schleifsteine der Schmieden an.

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				Griffe aus Abfall: In Kunstharz eingelegte grüne Alusplitter schleift Roland zu Griffen.

    Griffe aus Abfall: In Kunstharz eingelegte grüne Alusplitter schleift er zu Griffen.

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				Präzision und Schärfe: Ein Tafelmesser fordert mindestens 40 Arbeitsschritten.

    Präzision und Schärfe: Ein Tafelmesser fordert mindestens 40 Arbeitsschritte.

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				Stanzen, schleifen, fräsen: Roland an seinem Arbeitsplatz. Er sägt Löcher für die Griffschrauben in die Stahlklingen.

    Stanzen, schleifen, fräsen: Roland sägt Löcher für die Griffschrauben in die Stahlklingen.

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				Schleifen für Feinschmecker: Rolands Kunden sind Sternelokale in aller Welt.

    Schleifen für Feinschmecker: Rolands Kunden sind Sternelokale in aller Welt.

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				Messermeister: Roland mit seinen Klingen.

    Der Messermeister mit seinen Klingen.

Das Handwerk ist altertümlich, das Konzept der Klingen aber modern. „Mich inspirieren Popkultur, Filme, Comics und Street-Art – also alles, was mich als Mensch formt“, sagt Roland. Der Punk-Fan will eine alte Tradition mit seinen verrückten Designs und eigenwilligen Ideen verbinden. Genauso wie das viele junge Küchenchefs in aller Welt versuchen. Er ist ein Bruder im Geiste. Etwa von Matt Orlando, dem Chef des Zero-Waste-Restaurants Amass in Kopenhagen. Für das angesagte Lokal, in einem mit Graffiti beschmierten Bau gelegen, entwickelte Roland ein zum Ort passendes Tafelmesser mit einem Griff aus Beton. Inzwischen beliefert Roland 120 Restaurants weltweit.

Der Wert meiner Messer kommt nicht von teuren Materialien. Mir geht es darum, kreative und herausragende Messer herzustellen.“

Roland Lannier

Manche Griffe bestehen aus zerschreddeten Schallplatten der von Roland geliebten französischen Punkband Tagada Jones. Eine andere Messerserie heißt „Spring Heeled Jack“ – Sprungfeder-Jack ist eine Comicfigur, basierend auf einer Legende aus dem viktorianischen England. Wieder eine andere Serie heißt „Why so serious“ – ein Zitat von Heath Ledger als Joker im „Batman“-Film von 2008. Es ist so etwas wie Rolands Motto und Kritikpunkt: Warum müssen Fine Dining und Handwerk sich immer so ernst geben? Er will den Spaß an beidem. Die Kreativität und Neugierde.

Die Lust am Neuen impliziert auch Scheitern: Manche Experimente gehen schief. Für einen Koch aus Singapur machte Roland einen Griff aus dehydrierten Zwiebelschalen, in Kunstharz eingelegt. Nach einigen Wochen begannen die Schalen trotzdem zu verrotten. „Das Leben war stärker als der Kunstharz“, sagt er lachend. Ähnlich geht es ihm danach mit Zitronenschalen. „Organische Materialien sind immer kompliziert“, weiß er nun. Und definitiv nicht für die Spülmaschine geeignet. Es blieb eine einmalige Serie – aber der Versuch war es wert.

Punk: Roland an der Schleifmaschine.
Punk: Roland an der Schleifmaschine.

Sind seine Messer eher Kunstobjekte? Roland schüttelt den Kopf: „Mir geht es darum, kreative und herausragende Messer herzustellen. Aber ein Künstler bin ich nicht.“ Er sieht sich als guter Handwerker, dem die Nachhaltigkeit seiner Arbeit wichtig ist. Tierische Materialien, etwa Giraffenknochen, das Horn von Rindern oder Mammutelfenbein kommen ihm nicht in die Werkstatt. Sein Stahl kommt aus Schweden, möglichst umweltschonend ist er hergestellt.

„Der Wert meiner Messer kommt nicht von teuren Materialien, sondern von der Kreativität und der Arbeitszeit, die ich investiere“, sagt Roland. Mehrere Hundert Euro kostet eines seiner Messer. Es sind keine Schnäppchen, aber eben auch keine Massenware. „Meistens sind wir klassischen Handwerker technisch die Besten unseres Fachs. Das muss auch fair entlohnt werden.“ Dass er vielen Gästen, die mit seinen Messern essen, eine unvergessliche Erfahrung beschert, hat er schon oft gehört.

Schmied wollte Roland werden, war als Jugendlicher fasziniert vom Mittelalter, von nordischen Göttern und Sagen, von Amboss und heißem Stahl, wurde später zum Fan von „Game of Thrones“. Die Dame von der Berufsberatung fütterte mit den Informationen ihren Computer und riet ihm zu: Messerschmied. „Das fand ich cool.“ Er ging bei einem lokalen Betrieb in die Lehre, heuerte dann bei der Luxus-Messerschmiede Perceval an. Vor sechs Jahren eröffnete er die eigene Manufaktur. Am Amboss steht er nicht, obwohl er gelernt hat, Stahl zu schmieden. Feinarbeit findet er interessanter.

An der Schleifstation sprühen die Funken. Guillaume poliert den Griff eines Tafelmessers. Kollektion „Unfuck the world“ – nach dem Song der amerikanischen Crossover-Band Prophets of Rage. Im Griff steckt die Ledermaske eines mexikanischen Lucha-Libre-Wrestlers. Hat ein mexikanisches Restaurant bestellt. Muss heute noch verschickt werden. Dann schaltet Guillaume die Maschine aus. Roland schnappt sich sein Klappmesser. Die beiden Messer-Punks wollen zu Tisch. Sie haben Lust auf Entrecôte.

Text: Reinhard Keck Fotos: Sébastien Dubois-Didcock; PR

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